Predigtreihe in den Advents- und Weihnachtstagen – „Wertschätzung“

Wer würde nicht sagen, dass Wertschätzung eine innere Haltung des Christen sein müsste? Es gilt, der Schöpfung insgesamt wertschätzend zu begegnen. Das bezieht sich nicht nur auf den anderen Menschen, den wir Christen akzeptieren, respektieren oder wenigstens tolerieren sollen, sondern ebenso auf Tiere und Pflanzen. Aber auch Gegenstände brauchen Wertschätzung. Wie oft kommt es vor, dass wir unvorsichtig mit Dingen umgehen, die uns nicht gehören! Ein Experte für Brandschutz sagte mir vor kurzem, dass es schon überraschend ist, wie viele Dinge mutwillig zerstört werden. Da es sich bei der Wertschätzung um eine innere Haltung handelt, um eine Herzensangelegenheit, braucht es immer wieder die Reflexion. Über das, was aus unserem Inneren kommt, muss nachgedacht werden. Es ist bereichernd, sich selbst in Frage zu stellen.

Mit Blick auf dieses notwendige Reflektieren möchte ich vier Punkte hervorheben. Zunächst einmal ist es entscheidend, den Dingen des Lebens mit Achtsamkeit zu begegnen. Schülerinnen und Schüler der 12. Klasse sagten mir in dieser Woche, dass sie achtsamer mit der Art und Weise, wie Lehrer ihren Unterricht vorbereiten, umgehen wollen. Wenn ein guter Unterricht auf eine intensive Vorbereitung schließen lässt, müsse man dies den Lehrern auch mitteilen. Achtsamkeit hat etwas damit zu tun, dass der gute Unterricht überhaupt wahrgenommen und nicht einfach als selbstverständlich hingenommen wird. Dinge sollen aufmerksam und mit weitem Herzen betrachtet werden.

Ein zweiter Punkt, der sich aus der Reflexion ergibt, lautet, dass wir dem anderen erst einmal positiv begegnen sollten. In jedem Menschen ist etwas Gutes zu finden. Natürlich ist keiner vollkommen, aber Defizite machen einen Menschen letztlich menschlicher. Diese positive Perspektive auf den anderen ist natürlich manchmal mühsam, vor allem wenn wir viele negative Erfahrungen dabei gemacht haben. Dann fällt es schwer, ihm unbeschwert zu begegnen. Und doch lohnt es sich immer wieder, Herz und Augen offen zu halten, um den tiefen Wert des anderen erkennen zu können.

Ich erinnere mich hierbei an das Pinguin-Gleichnis von Eckhart von Hirschhausen. Bei einem Zoobesuch sah er einen Pinguin auf einem Felsen stehen. „Du hast es ja auch nicht besser als ich. Immerzu Smoking? Wo ist eigentlich deine Taille? Die Flügel zu klein. Du kannst nicht fliegen. Und vor allem: Hat der Schöpfer bei dir die Knie vergessen?“ – so seine Gedanken. Er kam zu dem Urteil: „Fehlkonstruktion“. Doch dann sprang der Pinguin ins Wasser und Hirschhausen musste staunen, wie dieses Tier durch das Wasser glitt, wie es mit dem Wasser spielen konnte. Hirschhausen war überrascht, was für Fähigkeiten und Talente in diesem Tier stecken, von dem er gedacht hatte, es sei eine Fehlkonstruktion. Das Element des Pinguins ist das Wasser. Ohne Wasser kann er sich nicht entfalten. Ist es nicht so, dass Menschen sich verschließen, wenn das Umfeld nicht stimmt? Wenn sie nicht gesehen werden und ihre Talente nicht zum Tragen kommen können? Auch wenn sie verschlossen sind, steckt Gutes in ihnen. Darum sollten wir ihnen positiv begegnen.

Ein drittes Feld, über das reflektiert werden muss, ist die Sprache. Menschen kommunizieren vor allem mithilfe der Sprache miteinander. Ob wir jemanden wertschätzen oder nicht, zeigt sich an der Sprache, die wir verwenden. Der Ton macht die Musik, vor allem im Falle von Kritik. Wie liebevoll weisen wir auf Grenzen hin, die im anderen stecken? Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass es viele Bücher gibt, die sich um gewaltfreie Kommunikation drehen? Wer mit gewalterfüllter Sprache kommuniziert, ist weit entfernt von Wertschätzung.

Viertens ist es wichtig für den Menschen, dass er eine Haltung der Bescheidenheit in sich trägt. Ich denke hier an den Philosophen Sokrates, der jeden Tag auf dem Marktplatz von Athen mit anderen Menschen über philosophische Fragen diskutierte. Und doch kommt er in der „Apologie des Sokrates“ zu dem Schluss, dass er nicht wisse und darum auch nicht meine, etwas zu wissen. Er erkennt seine Grenzen als Mensch sehr deutlich. Im Zusammentreffen mit den Menschen empfiehlt es sich daher, zurückhaltend und demütig zu sein, die eigenen Grenzen somit stets vor Augen zu haben. Das kann immer wieder neue Wertschätzung schaffen.

Wie hat Jesus selbst Wertschätzung gesehen? Seine Sicht stand im direkten Gegensatz zur Sicht Johannes des Täufers, dem Vorläufer oder Antreiber Jesu. Johannes war oftmals barsch und schroff in seinen Worten. Das Verhalten der Menschen machte ihn wütend und er musste dies artikulieren. Von gewaltfreier Kommunikation war keine Rede. Vielmehr hat er eine Drohbotschaft verkündet. Das Volk war voller Erwartung und Johannes hatte genaue Vorstellungen vom Wirken Jesu. Es war sein Anliegen, die Menschen mit seiner Sichtweise auf einen neuen Weg zu bringen. Gleichzeitig war seine Haltung voller Demut. Er war sich darüber im Klaren, dass er selbst nur den Weg bahnen würde, dass Größeres nach ihm kommen würde.

Der Lebensweg Jesu war ganz anders: statt Lieblosigkeit zeigt Jesus Liebe, statt Hass schenkt er Zuneigung, statt Macht lebt er Milde, statt zu strafen, ist er sanftmütig, statt Wut zeigt er Langmut. Sein Weg ist ein Weg der Wertschätzung, dem die Nähe zu den Menschen wichtig ist. Woher hat er diese Kraft und diese Tiefe gewonnen, den Menschen so zu begegnen? Eine Haltung kann man üben und trainieren. Jesus hat sich dafür immer wieder zurückgezogen, um die Liebe des Vaters zu spüren. Diese Liebe hat sein Wesen bestimmt. Sie hat sein Innerstes derart geprägt, dass er wertschätzend mit der gesamten Schöpfung umgehen konnte.

Ich erinnere mich an eine chassidische Erzählung, in der ein junger Mann zu einem Rabbi kommt und ihn fragt, was er tun müsse, um die Welt zu retten. Der Rabbi entgegnet ihm, dass er dazu nicht in der Lage sei – so wie er auch nicht in der Lage sei, etwas dazu beizutragen, dass am nächsten Tag die Sonne aufgehen wird. Da stellt der junge Mann fest, dass seine Askese, seine vielen Gebete umsonst gewesen sind. Worin anders könne ihre Bedeutung liegen als darin, mit ihrer Hilfe die Welt zu retten? Der Rabbi erwidert: „Dein Glaube hilft dir dabei, wachsam zu sein, wenn morgen die Sonne aufgeht“. Kein Mensch ist der Nabel der Welt und für jeden Menschen ist es unmöglich, die Welt zu retten, aber trotzdem können wir die Welt mit Wertschätzung und Liebe füllen, indem wir wachsam sind, und sie dadurch etwas bestimmen und leiten.

Jesus spricht außerdem von einer inneren Freude, die ihn trägt. Je mehr Freude wir im Leben haben, je mehr uns der Glaube Freude bereitet, desto wertschätzender werden wir durch diese Welt gehen. „Freud euch zu jeder Zeit“, hören wir im Brief an die Philipper. Der Apostel Paulus, von dem der Brief stammt, hat wahrlich nicht nur Freude in seinem Leben gehabt. Er hatte Schwierigkeiten, wurde abgelehnt, kam ins Gefängnis, hatte Probleme mit seiner Gesundheit. Aber eine innere Freude hat ihn davor bewahrt zu verzagen und hat ihm immer wieder den Weg der Liebe und der Wertschätzung gezeigt. So wie er und Jesus sich tief über die Liebe Gottes gefreut haben, so dürfen wir uns über die Liebe und Nähe Jesu freuen.

Wenn wir über einen längeren Zeitraum spüren, dass Menschen uns die Freude rauben, sollten wir diese Menschen meiden. Als Jesus nach Nazareth zieht, erkennt er, dass die Menschen ihn dort nicht annehmen und aufnehmen können. Sie sehen in ihm den Sohn des Zimmermanns, einen normalen Menschen, und fragen sich, was er eigentlich will, was er von sich behauptet. Jesus kann dort nicht segensreich wirken und entfernt sich. Die Freude des Glaubens kann uns keiner nehmen und wenn es trotzdem jemand versucht, müssen wir einen anderen Weg gehen und uns von ihm zurückziehen.

Als Jesus sich von Johannes taufen lässt, öffnet sich der Himmel und er hört folgende Worte: „Du bist mein geliebter Sohn“. Jesus sieht den Himmel offen und spürt die Liebe des Vaters. Allerdings bedeutet das hebräische Wort für ‚Sohn‘, nämlich ‚bar‘, auch ‚Knecht‘. Jesus hört also auch: „Du bist mein geliebter Knecht“. Das erinnert an das 42. Kapitel des Buches Jesaja, in dem der Gottesknecht beschrieben wird. Er verglimmt nicht und wird nicht geknickt, bis er auf der Erde das Recht begründet hat. Jesus weiß also, dass er geknechtet wird, aber er ist sich gleichzeitig gewiss, dass er die Liebe des Vaters niemals verlieren wird. Darum ist er stets voller Freude und hat seine Wertschätzung für den Menschen und die gesamte Schöpfung trotz aller Mühsal nicht aufgegeben.

Wertschätzung als Haltung ist eine liebevolle Haltung. Ich wünsche uns allen, dass wir an unserer Haltung der Wertschätzung arbeiten und dass wir uns dabei immer wieder reflektieren. Wir stoßen dabei zwar auf Grenzen, aber wir gehen Weihnachten entgegen. Der Herr ist mit seiner Liebe und Freude nah. Er will unser Herz berühren. Diese Nähe können wir zulassen, so dass sie uns darin stärkt, liebevoll und wertschätzend den Weg des Lebens und der Nachfolge zu gehen.

Wertschätzung als Haltung

3. Advent
Lk 3,10-18; 21f
Euer / Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

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