Die Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Matthäus ist eine der schönsten Geschichten im Neuen Testament. Matthäus hat eine spannende Erzählung mit poetischen Bildern geschaffen, die die Zuhörer von Anfang an gefesselt haben wird. Umso wichtiger ist es, den Glaubensinhalt dieser Erzählung herauszuarbeiten, der sich in ihrer Tiefe befindet und der die Tiefe des Textes wiederum für uns offenbar macht. Erst auf diese Weise werden wir dem Anliegen des Matthäus, den Glauben zu verkünden und zu verbreiten, gerecht. Manche Forscher fragen sich, welches tatsächliche Himmelsereignis mit dem Stern von Bethlehem, dem die weisen Sterndeuter aus dem Morgenland gefolgt sind, gemeint sein könnte. Das ist sicherlich eine interessante Frage, aber sie trifft m. E. den Kern der Botschaft des matthäischen Textes nicht. Er ist auf einer anderen Ebene zu finden.
Schauen wir uns die heutige Lesung des Jesaja näher an, so fällt auf, dass er bereits 700 Jahre vor Matthäus über ein Licht geschrieben hat, dem die Menschen folgen: „Nationen wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz“ (Jes 60,3). „Gold und Weihrauch bringen sie“, heißt es weiter (Jes 60,6). Matthäus hat diese alten Bilder in seine Botschaft aufgenommen, um die Menschen im Herzen zu berühren. Er wollte keine Geschichtswahrheit darstellen, sondern seiner jüdischen Gemeinde durch diese traditionellen Bilder des jüdischen Glaubens die eigene Botschaft näherbringen und Interesse wecken. Dadurch bekommen die Bilder eine spirituelle Bedeutung. Ich möchte Ihnen heute das zentrale Bild des Sterns geistlich deuten.
Der Stern ist ein Licht, das in der Dunkelheit leuchtet. Ein älterer Mann erzählte mir kürzlich, dass er in seinem Leben immer zu viel gearbeitet hat, stets die Wirtschaftlichkeit seines Tuns im Auge hatte und sich niemals die Zeit dafür genommen hat, den Sternenhimmel aufmerksam wahrzunehmen. Umso besser, dass er sich die Zeit jetzt nimmt und dass er dadurch einen neuen Blick auf das Leben gewinnen kann. Das Leben besteht nicht allein aus Gewinnmaximierung, sondern möchte auch das Herz erfüllen. Vor allem die Natur lädt uns dazu ein, aufmerksam auf ihre Wunder zu schauen, über sie zu staunen und uns von ihnen berühren zu lassen.
Wenn wir die Sterne betrachten möchten, müssen wir auf die Nacht warten. Sie ist ein fester Bestandteil unserer Wirklichkeit. Dunkelheiten ziehen sich durch unser Leben, aber sie müssen nicht immer erdrückend sein. Die Nacht regt unsere Phantasie zu Poesie an, lässt Träume und Visionen entstehen und eine Ahnung von Transzendenz in uns aufkommen. Selbst wenn die Dunkelheit unserer Seele zusetzt, schenkt uns jeder Stern ein Licht der Hoffnung und Zuversicht. Es ist mir daher wichtig, dass wir uns nicht in der Dunkelheit vergraben und niemals das Licht in unserem Leben verlieren. Über dem Dunkel leuchtet ein Licht auf unseren Lebensweg und schenkt uns mit seiner Energie Kraft.
Menschen sind Lichtmenschen, die von ihrem ursprünglichen Wesen offen sind für das Licht. Es macht uns lebendig. Instinktiv suchen wir danach. Wenn wir in den dunklen Himmel schauen, sehen wir im Grunde die Dunkelheit erst gar nicht, weil unser Blick ganz selbstverständlich vom Licht im Dunkel angezogen wird. Wir bringen alle Voraussetzungen mit, um in jedem Augen-Blick unseres Lebens am Licht festzuhalten. Ich wünschte, wir würden unser Leben danach gestalten, wer wir sind. Es ist schade, dass uns die Dunkelheit immer wieder anzieht. Wie viel Grausamkeit entsteht durch uns Menschen? Warum müssen wir überall in der Natur eingreifen, bestimmen, umgestalten und dadurch Unheil bringen, nur weil wir meinen, wir seien größer und intelligenter und wichtiger? Wie kommt es, dass wir unserem eigentlichen Wesen, Lichtmenschen zu sein, so oft widersprechen?
Ich möchte uns alle dazu einladen, dass wir uns an die Sternstunden unseres Lebens erinnern. Es sind einmalige Augenblicke, die unsere Seele geprägt haben und uns niemals verlassen werden. Wenn wir innehalten, blitzen sie auf, kommen aus der Tiefe unseres Wesens an die Oberfläche und wärmen unser Herz. Wenn wir ihnen nachspüren, können wir sie erneut zum Klingen bringen und wie eine innere Kraftquelle verwenden. Diese Sternstunden können ein immer wiederkehrendes Licht auf unserem Lebensweg sein und uns Glück schenken. Das macht deutlich, dass wir uns nach dem Licht ausrichten können und nicht gezwungen sind, der Dunkelheit nachzugeben. Sicherlich lässt sich das Dunkel niemals auslöschen oder wegschieben, aber das Licht leuchtet vor allem durch dieses Dunkel in unsere Welt hinein. Daran können wir immer festhalten. „Dein Herz wird erbeben und sich weiten“, verspricht Jes 60,5.
In Joh 8,12 lesen wir: „Ich bin das Licht der Welt“. Diese Worte kommen aus dem Munde Jesu, dessen Licht symbolisch im Stern über Bethlehem aufleuchtet. Jesaja hatte das Licht, dem die Menschen nachfolgen, noch nicht mit Jesus von Nazareth identifiziert. Aber Matthäus erkennt im Leben Jesu, in seinen Worten und seinen Taten, eine Verwirklichung des von Jesaja prophezeiten Lichtes und lässt den Stern daher über seiner Geburt als Wegweiser für die Sterndeuter leuchten. Jesus richtet die Menschen auf, er macht ihnen Mut, nicht ohnmächtig gegenüber der eigenen Angst zu werden, er schenkt ihnen eine Zukunft sogar über den Tod hinaus. Dieses Licht bleibt nicht am Himmel, sondern ist gewissermaßen vom Himmel auf die Erde gefallen, um unter uns zu sein, den Menschen nahe zu sein. Das war vielleicht sogar der beste Weg, um uns aufzurütteln und unser Tun in Frage zu stellen. Es war sicherlich der beste Weg, um unsere Herzen für die Liebe zu öffnen. Darum mag ich die fünfte Strophe des Liedes „Zu Bethlehem geboren“ so gern. „Dich wahren Gott ich finde in meinem Fleisch und Blut“, heißt es dort. Gott geht in unser Innerstes hinein, in unser Wesen. Er ist uns näher, als wir selbst es uns sind. Er geht uns gleichsam‚ unter die Haut‘.
Wir können uns frei für das Licht oder für die Dunkelheit, für die Hoffnung oder für die Hoffnungslosigkeit, für die Liebe oder für den Tod entscheiden. Wir tragen Verantwortung für unser Sein und Tun und können unser Leben entsprechend ausrichten. Wenn wir bedenken, dass Gott in unserem Innersten ist, kann daraus eigentlich keine Gewalt mehr entstehen, sondern nur Liebe. Die weisen Sterndeuter aus dem Morgenland gehen auf einem anderen Weg zurück in ihre Heimat, als sie gekommen sind. Sie nehmen nicht den Weg über die weltliche Macht und Gewalt, die der König Herodes repräsentiert und einfordert, sondern folgen dem Weg, den Jesus Christus als König des Herzens ihnen leuchtet. Sie halten sich vom Bösen fern, lassen die Gewalt der weltlichen Macht ‚links liegen‘ und verkünden bereits allein dadurch die Liebe.
Mögen wir uns vom Licht der Liebe Jesu Christi im Herzen treffen lassen und uns zusammenfinden, um den Weg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe gemeinsam zu suchen und zu gehen. Ich bin zuversichtlich, dass es auf diese Weise heller auf der Welt wird. Der Stern Jesus Christus ist auf die Erde gefallen und möchte uns dazu ermuntern, aufzustehen und ihm nachzufolgen. Folgen wir dem Licht, das er in diese Welt hineingelegt hat! Es wird uns allen immer wieder zum Segen werden.
Sternstunden des Menschen
Jes 60,1-6 und Mt 2,1-12