Wenn wir heute noch einmal auf Weihnachten zurückschauen, gibt uns das Anlass, unser Menschsein zu bedenken. Wie leben wir und wie lieben wir? Hat die Liebe Gottes uns berührt, die an Weihnachten mit Jesus Christus in die Welt gekommen ist? Prägt sie unser Leben? In der Welt geht es trotz Weihnachten immer noch oft lieblos zu und auch Jesus Christus musste mit der Lieblosigkeit der Menschen leben. Gerade vor diesem Hintergrund lässt sich Weihnachten als Kontrapunkt sehen. Gott hat die Liebe in das Leben hineingelegt und es liegt an den Menschen, sich für diese Liebe zu öffnen und sie wachsen zu lassen.
Weihnachten war dieses Mal bei allen Menschen anders als gewohnt. Wir konnten kaum zusammenkommen und unsere Liebe auf gewohnte Art leben. Vielleicht hat die Ausnahmesituation aber auch zu einer Intensivierung des Erlebens der weihnachtlichen Botschaft geführt. Welches Erlebnis hat sich in Ihrem Herzen manifestiert?
Eines meiner schönsten Erlebnisse ist es, in die liebenden Augen von Kindern zu schauen – nicht nur an Weihnachten. Gerade für Großeltern kann dies wie eine Auferstehung hin zum Leben wirken. Durch die Kinder und ihre Liebe eröffnet sich etwas Neues, eine neue Lebendigkeit. Ich traf selbst gestern Nachmittag ein Kind mit einer Schüppe und einem Eimer in der Hand, das auf der Suche nach Sand war. Ich durfte ihm den Weg zum Sand zeigen und dachte: wie viel Leben, wie viel Gnade, wie viel Erfüllung! Ähnliches geht mir durch den Kopf, wenn ich mein Garagentor öffne und die Kindergartenkinder sofort zum Zaun gestürmt kommen. Mit glänzenden Augen fragen sie mich, wohin ich fahre, was ich machen will, wo mein Hund ist. Mir einige Minuten Zeit für sie zu nehmen und mit ihnen zu reden, schenkt mir wunderbare Augenblicke. Was hat Gott doch für Möglichkeiten der Menschlichkeit geschaffen! Wie schön ist es, die Liebe im Herzen zu spüren.
In unserem heutigen Evangelium begegnet uns Jesus zum letzten Mal als kleines Kind. 40 Tage nach seiner Geburt wird er nach jüdischer Sitte zum Tempel geführt, um als erstgeborener Sohn dem Herrn geweiht zu werden. Die Szene endet mit den Worten: „Das Kind wuchs heran und wurde kräftig: Gott erfüllte es mit Weisheit und seine Gnade ruhte auf ihm“. Das zeichnet dieses Kind aus. Seinen Namen bekommt es nicht von seinen Eltern, sondern von Gott. Jesus bedeutet „Gott rettet“. Das ist sein Wesen. Gott hat ihn mit seiner ganzen Liebe in die Welt gesandt, um sie vor der Lieblosigkeit zu retten. Das ist natürlich eine mühsame Aufgabe, da Lieblosigkeiten mit einem verschlossenen Herzen einhergehen. Wie kann Jesus es schaffen, dass die Menschen vor diesem Hintergrund den Weg der Liebe gehen? Vielleicht stößt schon sein Blick Veränderungen an.
Im Tempel treffen wir auf Simeon und Hanna. Sie werden beide Jesus im Arm halten und das wird ihr Leben verändern. Bei ihnen trifft die Liebe auf offene Herzen. Ihre Herzen sind offen, weil die beiden sich durch einen starken Glauben auszeichnen. Sie halten sich jeden Tag im Tempel auf und üben eine Haltung der Offenheit für die Liebe Gottes. Hanna wird als Prophetin dargestellt. Sie fastet und betet. Durch das Gebet vertraut sie sich Gott an, sie sucht die Verbindung zu ihm und drückt damit aus, dass sie mit Gott leben möchte. Simeon ist ein frommer Mann, der den Heiligen Geist in sich spürt und mit festem Glauben auf den Messias wartet, der ihm vom Heiligen Geist verheißen wurde. Viele Jahre lang haben die beiden, Hanna und Simeon, diesen Glaubensweg bereits eingeübt.
Im dritten Kapitel des Buches Joël lesen wir, dass die Jungen diejenigen sind, die Visionen haben, während die Alten diejenigen sind, die Träume haben. Bei Simeon und Hanna erfüllt sich ihr Lebenstraum am Ende des Lebens. Ihr Wesen war stets von solcher Sehnsucht erfüllt, dass eine innere Bereitschaft geschaffen wurde, die nun die Erfüllung der Sehnsucht eröffnet. Simeon hatte sich immer gewünscht, vor seinem Lebensende den Messias zu sehen. In Jesus erkennt er den Retter, den Heiland. Dorothee Sölle bemerkte einmal: „Wie oft sagen Kinder zu ihren Eltern: Mach das heil“. Kinder sind von dieser Heilkraft überzeugt und vertrauen darauf. Dieses Vertrauen ist die Grundlage dafür, dass man bis ins hohe Alter den Traum der Liebe lebt und offen bleibt für das Leben.
Als Simeon Jesus nun in den Armen hält, schaut er eigentlich in die Augen eines Kindes, aber er sieht das Heil. Sein Blick dringt tiefer, durchbricht das Vordergründige hin zum Göttlichen. Diese Erfahrung lässt ihn Gott preisen: „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden“. Diese Worte beten Priester jeden Abend, um ihren Tag zurück in die Hände Gottes zu legen. Auch Ehepartner sagen einander immer wieder, dass sie nicht schlafen gehen sollen, ohne sich versöhnt und mit dem Anderen Frieden geschlossen zu haben. Simeon ist in Frieden mit sich selbst, seiner Sehnsucht und Gott, der sein Versprechen gehalten hat. Das Heil wird vor allen Völkern bereitet – weil Gott es durch Jesus Christus in die Welt und in das Leben der Menschen gelegt hat.
Auf dieses wunderbare Erlebnis lässt Simeon ernste Worte folgen. Die Härte des Lebens macht vor der Liebe keinen Halt. Jesus, der die Liebe Gottes in die Welt bringt, der die Menschen mit dieser Liebe rettet, wird auf Widerstand stoßen. Man wird ihn einen Gotteslästerer nennen, ihm eine Dornenkrone aufsetzen, eine Verbindung zwischen ihm und dem Teufel ziehen. Maria wird als Hure beschimpft und ein Schwert wird durch ihre Seele dringen. Wenn sie erleben muss, wie man ihrem Sohn Schrecklichstes antut, wird ihre Seele in zwei geteilt. Ein Teil ihrer Seele wird damit aus ihr herausgerissen und zerstört. Auch das ist ein realistisches Bild des Glaubens. Aber trotz der Bedrängnis im Leben sind Simeon, Hanna und Maria ihren Weg im Vertrauen auf Gott und das Heil in der Liebe gegangen. Jesus legt eine Liebe in die Welt, die größer ist als alles andere.
Schauen Sie selbst in der kommenden Woche mal in die Augen der Kinder und lassen Sie sich von ihren Blicken berühren. Nehmen Sie die Liebe auf, die Jesus in die Welt gebracht hat. Sie bleibt unverbrüchlich auch in allen Widerständen des Lebens.