Es gibt biblische Erzählungen, die wir von klein auf kennen und wie selbstverständlich in uns tragen. Gerade bei ihnen ist es lohnenswert und sogar entscheidend, neu hinzuhören, um ihre Glaubensaussagen zu verstehen und zu interpretieren. Der beste Ausgangspunkt dafür ist es, die Poesie eines Textes zu erkennen, statt ausschließlich auf das Historische zu schauen. Letzteres kann den tiefen Inhalt des Glaubens sogar verdecken. Navid Kermani beispielsweise kritisiert, dass die Leuchtkraft des Korans zu wenig wahrgenommen wird, wenn man seine Poesie nicht zulässt und rein fundamentalistisch auf das Geschriebene schaut. Vielmehr liegt eine Chance darin, dies so zu interpretieren, dass wir die Wahrheit des Glaubens in der Tiefe des poetischen Ausdrucks finden. Die biblischen Texte tragen oft etwas Mystisches in sich, das erkannt werden darf, um es auf unser Leben zu übertragen und als Kraftquelle für den Glauben zu nutzen. Im Grunde spricht dieser Zugang den modernen Christen an. So prognostizierte Karl Rahner vor Jahrzehnten, „dass der Christ der Zukunft ein Mystiker sei oder nicht mehr sei“.
Im heutigen Evangelium über die drei Weisen aus dem Morgenland erleben wir eine orientalische Lyrik in fremder Sprache, die nicht leicht zugänglich ist. Ich möchte vier Bilder vorstellen, die um das Geheimnis dieser Sterndeuter kreisen. Was waren das für Menschen, was hat sie angetrieben und was können sie uns bedeuten?
- Die drei Weisen kommen aus Persien. Ihre Namen kennen wir nicht. Dass sie Kaspar, Melchior und Balthasar heißen sollen, wurde ihnen später zugeschrieben. Auch dass sie heilige Könige sind, lesen wir nicht bei Matthäus. Vielmehr gehören sie einer priesterlichen Kaste des Orients an. Ausgerechnet diese Menschen suchen den König der Juden! Matthäus hat sich hierbei natürlich etwas gedacht. Er baut Spannung auf, indem er Menschen aus einer anderen religiösen Tradition nach dem König der Juden suchen lässt.
Ich habe hier sofort an Hans Küngs Weltethos und den damit verbundenen Dialog der Religionen gedacht. Küng beschreibt sehr deutlich, wie die Anmaßung einer Religion, die alleinige Wahrheit zu besitzen, in der Konfrontation mit anderen Religionen immer zum Krieg geführt hat. Gern hat man die Botschaft Jesu in der Geschichte auch benutzt, um Kriege zu rechtfertigen. Matthäus hingegen präsentiert Vertreter des Dialogs, die die Wahrheit nicht nur in der eigenen Religion suchen, sondern sich erhoffen, Wertschätzung, Kraft und Heil in einer anderen Religion zu finden. Diese innere Haltung ist wichtig – und nicht, welche Namen die drei Weisen tragen.
- Angestoßen wird die Suche durch einen Stern. Als Sterndeuter gehen die drei Weisen wissenschaftlich vor. Sie sehen und beobachten einen ungewöhnlichen Stern. Auch im Glauben sollte die Vernunft nicht aus den Augen verloren werden. Es gilt, vernünftig zu glauben. Doch darauf sollte der Schritt des Vertrauens folgen. Diesen Schritt machen die drei Sterndeuter. Trotz der unermesslichen Vielfalt an Sternen vertrauen sie darauf, dass dieser eine Stern ihnen Orientierung bieten kann. Sie entdecken in ihm ein Geheimnis, das mehr ist, als sie mit dem Teleskop sehen können. Statt um sich selbst zu kreisen, schauen sie in den Himmel, nehmen das Bild des Sterns ins Herz auf und machen sich auf den Weg in die Weite. Es treibt sie an, die Erfahrung, die der Stern verheißt, leibhaftig zu machen. Glaube bedeutet, nicht nur bei der Theorie zu bleiben, sondern mit offenem Herzen und Vertrauen dem im Glauben Verheißenen nachzugehen.
Als die Sterndeuter auf das Kind im Stall von Bethlehem treffen, wird für sie leibhaftig erfahrbar, was der Stern mit seiner Leuchtkraft angedeutet hat. Jesus ist das Licht der Welt. Der Mensch ist eingeladen, sich von diesem Licht beleuchten zu lassen. Das Herz der Sterndeuter weitet sich, sie fallen beglückt nieder und beten das Kind an. In unserer Krippe nehmen wir ihnen die weltlichen Kronen ab, sobald sie um Jesus herum stehen. Solche Macht- und Herrschaftssymbole erübrigen sich im Angesicht des Lichtes der göttlichen Liebe selbst. Es zählt nur noch die Weite des eigenen Herzens, die das Licht aufnehmen – und am Ende auch an andere Menschen weitergeben möchte.
- Die drei Weisen bringen dem Kind in der Krippe drei Geschenke mit: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Gold glänzt und ist kostbar. Dieses Geschenk möchte sagen, dass in jedem Menschen etwas Kostbares ist, etwas Göttliches, das durch Taufe und Firmung ausdrücklich gemacht wird. Oft verschüttet der Staub des Lebens dieses Kostbare. Die göttliche Liebe wird verdeckt, da auch immer Dunkelheit im Menschen ist. Doch das Gold zieht die Aufmerksamkeit auf die Kostbarkeit: Schaue auf das Göttliche in Dir und mache es groß!
Der Weihrauch zeigt an, dass dieses Göttliche aufsteigen soll. Der Mensch darf es nicht in sich einschließen, sondern soll es nach außen tragen zu den anderen Menschen, um die Welt mit den je eigenen Möglichkeiten menschlicher, liebevoller und damit göttlicher zu machen. In jeder gerechten Tat wird Göttliches sichtbar. Jeder Mut, für Gerechtigkeit, das Gute und die Liebe einzustehen, ist eine Verwirklichung des Göttlichen im Menschen.
Myrrhe ist ein Balsam, ist wie eine Salbe auf einer Wunde. Jeder Mensch kennt die Schmerzen und Lieblosigkeiten des Lebens. Jeder weiß von dem Druck, der manchmal auf der eigenen Seele lastet und mit dem es schwer umzugehen ist. Die Myrrhe lässt uns fragen, woher Trost kommen könnte. Wer richtet Dich auf? Wer hilft Dir? Welcher Mensch lindert Deinen Schmerz? Was heilt Deine Wunden?
- Nach dem Erleben der beglückenden und leuchtenden Liebe beim Anblick des kleinen Jesus in der Krippe, nach dem von einem weiten Herzen angestoßenen Niederfall vor dem Kind, nach Anbetung und Beschenkung dieses messianischen Königs der Juden setzt Matthäus einen literarischen Gegensatz. Der weltliche König Herodes wird wieder ins Spiel gebracht. Zwar ist sein im Evangelium bezeugter Kindermord wahrscheinlich nicht historisch – Geschichtsschreiber wie Flavius Josephus erwähnen ihn nicht –, doch die Wahrheit des Wesens dieses Mannes wird dadurch trotzdem offenbart. Herodes war ein brutaler, machtbesessener Mensch, der die eigene Frau und seinen Sohn umbrachte, weil er um seine Macht fürchtete
Die drei Weisen erahnen, erspüren das Dunkle in Herodes und weichen ihm aus. Obwohl sie versprochen hatten, auf dem Rückweg vom neugeborenen König der Juden zu berichten, nehmen sie einen anderen Weg. Diese Entscheidung eröffnet für jeden Menschen eine existentielle Frage: Wie kannst Du das Heilige, das Kostbare in Dir bewahren, wenn die Welt die Liebe aus Dir herausnehmen will? Manchmal lohnt es sich, sich dem Bösen zu stellen. In anderen Fällen ist es sinnlos und dann ist es eine kluge Haltung, dem Bösen auszuweichen. Denn sonst steht man in der Gefahr, die innerliche Liebe zu verlieren. Sie ist aber das Kostbarste im Menschen und muss unter allen Umständen bewahrt werden.
Das heutige Evangelium muss man unter diesen Gesichtspunkten lesen. Bei Jesus Christus geht es wie immer um die Liebe. Die Sterndeuter haben sie entdeckt und sind ihr nachgegangen. Sie erleben sie leibhaftig und tun alles, damit diese Liebe in ihrem Herzen niemals verloren geht. Machen auch wir uns auf den Weg!