Dieser Gottesdienst steht unter einem besonderen Zeichen. Wir gehen einem Abschied entgegen. Das ist für uns alle traurig und wir fühlen die Ungerechtigkeit darin. Aber ich werde aufrecht und wahrhaftig gehen.
Die Bilder, die wir gerade aus unseren gemeinsamen 17 Jahren gesehen haben, zeigen deutlich, wie wir miteinander gelebt haben und leben. Ich habe mir in all dieser Zeit stets gesagt: „Mit Euch bin ich Christ und für Euch bin ich Pastor“. Das „Mit Euch“ war für mich immer wichtiger als das Pastor-Sein. Das gemeinsame Leben, eine Heimat gefunden zu haben, beheimatet zu sein – das alles tut mir so gut und macht mein Leben aus. Ich bin gern Priester und Pastor. Aber ich weiß sehr gut, dass Heimat die Grundlage für so ein Wirken ist. Wenn ich heute mit dem Fahrrad durch die Aaseestadt fahre, so finde ich keine Straße, in der ich nicht wenigstens zehn Familien kenne. Manche sind mir aus den Gottesdiensten sehr vertraut; andere treffe ich auf der Straße. Beide Gruppen sind mir gleich lieb und lebendig. Wie viele habe ich in den 17 Jahren erlebt, die eine Zeit lang Gottesdienst gefeiert haben und dann einen anderen Weg gegangen sind. Ich habe meine Rolle immer so verstanden, dass ich Impulse setze und Vorschläge mache. Für die Liebe kann man sich nur aus freien Stücken öffnen. Die Heimat mit all diesen Menschen trägt mich und hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin.
Ich wusste, dass im Juni mein Abschied bevorstehen wird – nicht als Mensch natürlich, sondern nur als Pastor. Was ich mit den Menschen erlebt habe, ist tief in meinem Herzen und wird nie verloren gehen. Diese Zeit war ein großer Segen und wenn etwas einem Menschen zum Segen wird, dann nimmt er es mit auf seinen Lebensweg und hinein in die Ewigkeit. Diese Zeit ist ein Teil von mir geworden. Ihr ward und bleibt ein Teil meines Lebens. Und das ist ein Segen.
Am Freitag hat der Bischof entschieden, dass ich meinen Dienst in der Gemeinde St. Stephanus am kommenden Freitag beenden muss. Wir ringen seit Monaten um Wahrheit. Auch hier müssen wir genauer hinschauen. Wir lesen von einem Gespräch, das am Freitag stattgefunden haben soll. Es hat kein Gespräch gegeben und erst recht kein Dialog. Es gab eine Mitteilung: „Ich teile Ihnen mit, dass Sie Ihren pastoralen Dienst nur noch bis kommenden Freitag in der Gemeinde St. Stephanus ausführen dürfen“. Wir lesen außerdem: „Zudem scheint der vorgezogene Wechsel auch für Pfarrer Laufmöller selbst wichtig“. So etwas habe ich nie gesagt. Ich bin mir sehr bewusst, dass eine Suche nach Wahrheit zu Auseinandersetzungen führt. Aber geht man wirklich davon aus, dass es friedlicher sein wird, wenn ich nicht mehr da bin?
Ich muss diese Entscheidung trotzdem annehmen. Die Menschen fragen mich gerade, wie das möglich ist, wie ich mich derart erniedrigen lassen kann, wie ich das alles zulassen kann. Die Antwort ist: Weil ich sonst die Friedensschule verloren hätte. Die Mitteilung war kompromisslos. Aber die Suche nach Wahrheit geht weiter, auch unabhängig von meiner Person. Die Suche nach Transparenz geht weiter. Das Hinterfragen der kirchlichen Struktur und der damit verbundenen Macht geht weiter. All das gibt mir in dieser Situation Halt. Denn wie wir heute im Evangelium lesen, ist es den Christen aufgetragen, nach Wahrheit zu suchen.
Was gibt mir noch Halt, während mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird? Was lässt mich aufrecht gehen? Das ist vor allem mein Glaube an Jesus Christus. Dieser Glaube lässt mich versprechen, dass ich das Aufrechtgehen niemals aufgeben werde, dass ich immer nach Wahrheit suchen und wahrhaftig bleiben möchte. Sie wissen, wie sehr ich die Worte von Franz Kamphaus schätze: „Wer anbetend niederfällt, weiß, wem er den aufrechten Gang zu verdanken hat“.
Für Euch bin ich Pastor – ich stelle mich mit Euch zusammen unter Christus. Immer wieder haben wir Worte von Jesus Christus gehört, die den Weg der Wahrheit aufzeigen. Dem müssen wir treu bleiben.
Halt gibt mir diese Gemeinde. Ein Priester darf keine eigene Familie gründen. Er kommt und geht. Er kommt allein und er geht allein. Ich empfinde es als eine Zumutung, mich mit fast 57 Jahren aus meiner Heimat zu reißen. Das ist eine menschliche Herausforderung. Das wurde zu wenig von denen bedacht, die die Entscheidung getroffen haben. Darum hoffe ich, dass ich Sie alle als Menschen nicht verliere. Die St. Stephanus-Gemeinde ist wie eine Familie für mich. Dazu haben wir alle beigetragen.
Halt bekomme ich auch von meinen Eltern und meiner Familie. Wir haben eine wunderbare Familie Zuhause. Alle helfen mir. Meine Schwägerin hat für mich beispielsweise die neue Wohnung in Gremmendorf gefunden. Sie wissen, wie schwer es ist, in Münster eine Wohnung zu bekommen. Ich hatte noch dazu die Auflage, meinen Wohnsitz in die Pfarrei Wolbeck zu verlegen. Gott sei Dank habe ich eine Wohnung gefunden, die zwar kleiner ist, aber heilende Wände hat. Nun habe ich etwas, wo ich in zwei Wochen hin kann, wenn ich das Pfarrhaus verlassen muss. Dort hoffe ich, wieder zu mir zu finden. Meine Familie wird mir nun beim Umzug helfen. Sie kennt mich seit nahezu 57 Jahren und nimmt mich an. Das gibt mir Halt, ist mir Trost und Ermutigung. Solch eine Familie zu haben, ist ein großes Glück. Umso trauriger, dass meine Eltern in ihrem hohen Alter gerade so viel durchmachen müssen. Was glauben Sie, wie die beiden mit der Kirche hadern?
Ein wichtiger Halt ist die Friedensschule für mich. Dort bin ich sogar noch länger als in St. Stephanus, nämlich seit 22 Jahren. Es hat mir gut getan, von jungen Menschen gefragt zu werden: „Herr Laufmöller, wie gehen die gerade mit Ihnen um? Was passiert mit Ihnen? Was ist in der Kirche los?“ Die Friedensschule ist der Ort, an dem ich in Zukunft noch mehr sein darf, wo ich meine Heimat stärker pflegen kann, besonders auch mit den Kollegen. Sie ist ein Ort, wo ich ab jetzt die Eltern stärker in den Blick nehmen kann. Heimat ist so wichtig für mich. Verstehen Sie bitte, dass ich die Schule nicht opfern wollte, sondern es so machen musste.
Ein inniger Halt ist schließlich mein Hund. Bei Seo spüre ich, was Liebe ohne Worte ist. Da fühlt jemand mit, und zwar mindestens genauso viel, wie wir Menschen es können. Seo ist sehr einfühlsam. Sie schaut in meine Seele und in mein Herz. Sie ist ein Segen und eine Kraftquelle. Das hilft mir ungemein.
Das heutige Evangelium trifft die Mitte unserer gegenwärtigen Gedanken. Was uns allen Halt gibt, ist die Liebe. Wo Menschen Liebe schenken und erfahren, finden sie zum Leben. Manchmal fragen wir, ob dies oder das notwendig ist. In Zeiten wie diesen wissen wir genau: notwendig ist die Liebe. Jesus ist gekommen, um den Menschen die Liebe zu verkünden. Der Vater wollte die Liebe in die Welt tragen. Er hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn in die Welt gebracht hat. Diese Welt ist erfüllt von Liebe, von Gottesliebe. Jesus ist für diese Liebe über alle Grenzen gegangen – über die Grenzen menschlicher Erschöpfung hinaus. Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinem Sohn das zugemutet hat. Die Liebe von Jesus zu seinem Vater war wiederum so groß, dass er alles ertragen hat, ohne die Liebe zu verlieren.
Es ist ein Segen, dass die Liebe Gottes grenzenlos und bedingungslos unter uns ist. Das Licht ist in die Welt gekommen. Die Realität ist aber, dass die Menschen die Finsternis mehr lieben als das Licht, sagt Johannes. Warum ist das so? Wir sind doch Lichtmenschen. Im Dunkeln schauen wir ins Licht – wir schauen hinauf in den Sternenhimmel und erfreuen uns daran.
Warum suchen wir trotzdem die Finsternis? Manchmal liegt es an Neid und Eifersucht. Wir haben Angst, dass jemand besser sein könnte als wir selbst. Wir haben Angst vor der eigenen Wahrheit. Wir haben Angst, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Die Wahrheit soll aber gerade ans Licht kommen und derjenige, der die Wahrheit liebt und tut, kommt zum Licht. Das ist unser Auftrag und aus ihm kommt zusammen mit der Angst der Anderen die Spannung in unserer Gemeinde zustande. Trotzdem dürfen wir niemals aufgeben – selbst wenn wir wissen, dass wir an Grenzen stoßen. Es bleibt immer eine Suche. Die absolute Wahrheit werden wir nie in der Hand haben.
Jesus ist das Licht der Welt. Wer die Wahrheit liebt, kommt zu Jesus Christus. Er hat für diese Wahrheit gelebt und ist hingerichtet worden, weil die Gewalttätigen den Gewaltlosen nicht ertragen konnten. Wir müssen der Wahrheit treu bleiben, wie er es getan hat. Der Weg der Wahrheit führt immer zu einem aufrechten Gang und zum Leben. Am Ende des Lebens wird jeder entblößt und ohne Maske in seiner ganzen Wahrhaftigkeit vor seinem Schöpfer stehen. Dann kann keiner mehr etwas verheimlichen oder zudecken. Der Herr schaut in die Tiefe meiner Seele und ich erkenne, wo ich die Liebe gelebt und wo ich sie verraten haben. „Schade“, werde ich dann sagen, „ich bin manchmal nicht der gewesen, der ich hätte sein können.“ Der Herr wird uns aufrichten. Er wird Licht in uns hineinbringen. Trotzdem sollten wir schon jetzt alles tun, um wahrhaftig und liebevoll zu sein, der Wahrheit ans Licht zu verhelfen, um selbst zum Licht zu kommen.
In unserer Predigtreihe fragen wir uns heute, wie wir frische Luft in die Kirche hineinlassen können. Wie ist es gekommen, dass Johannes XXIII. auf die Frage, warum er das Zweite Vatikanische Konzil einberufe, zu einem Fenster gegangen ist und es geöffnet hat? Das war eine Demutshaltung. Sie hat einen Mann gezeigt, der gesprächsoffen war und die Menschen mit ins Boot nehmen wollte. Damit wendete er sich gegen die Kurie, die das Konzil zu verdrängen versuchte, um nicht zu viele Menschen in die Diskussion hineinzunehmen. Der Papst hat das Konzil trotzdem stattfinden lassen und frische Luft hineingelassen. Seitdem ist nicht alles in der Kirche gut geworden, aber das Konzil war ein Meilenstein, auf dem man aufbauen konnte. Nun müssen wir weiterarbeiten und die Fenster weit öffnen, damit der Heilige Geist uns erfrischen kann – damit die Kirche wieder gesprächsoffen wird und wichtige Ideen zulässt – damit sie sich der Suche nach Wahrheit ausliefert – damit sie den Menschen Liebe schenkt statt Lieblosigkeit.
Jesus hat die Liebe in die Welt gebracht. Sie ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Die Liebe hört niemals auf, da sie die Sehnsucht des Menschen ist. Solange der Mensch Mensch bleibt, wird er diese Liebe suchen. Jesus hat für diese Liebe gelebt. Er wurde wegen dieser Liebe verfolgt, hat bis zum Kreuz alle Gewalt ausgehalten und die Liebe niemals verraten. Diese grenzenlose Liebe stärkt und trägt uns. Ich habe in all den Jahren versucht, Ihnen – auch durch die Liturgie – diese Liebe Gottes näherzubringen. Erst letzten Sonntag habe ich die Liturgie bewusst verändert, um Ihnen einen neuen Impuls zu geben. Statt „Erhebet die Herzen“ haben wir das tiefgreifendere „Empor die Herzen“ gesagt, um unsere Herzen mit aller Innigkeit zu Gott emporsteigen zu lassen. Ich habe all dies aus Liebe zu Gott und zu Euch getan, die Ihr das mit mir geteilt habt. Es war eine wunderbare Zeit. Danke.