Was macht eine lebendige Gemeinde aus? Was bringt sie zum Strahlen? Hängt ihre Lebendigkeit von der Anzahl an Menschen ab, die regelmäßig die Gottesdienste besuchen? Der Apostel Paulus hat ein wunderbares Bild einer lebendigen Gemeinde gemalt. Er schreibt in seinem ersten Brief an die Korinther von der Gemeinde als einem Leib mit vielen Gliedern. Jedes Glied ist einzigartig und hat eine besondere Fähigkeit, erfüllt eine besondere Aufgabe, und doch gehören alle Glieder zu dem einen Leib. „Wir existieren im Plural“, bemerkt Hannah Arendt und Martin Buber stellt fest: „Ich bin, weil du bist“.
Natürlich muss jedes Glied schauen, welche Fähigkeit in ihm steckt. Welche Gabe hat der Einzelne? Mit welchem Talent wurde er geboren? Wie kann jedes Glied sein spezielles Charisma in die Gemeinschaft einbringen und für sie in den Dienst stellen? Jedes Glied ist wichtig und unverzichtbar für die Gemeinschaft. Kein Glied darf sich über die anderen Glieder erheben. Der Kopf darf nicht sagen, dass er wichtiger ist als der Fuß. Ist ein Glied schwach oder krank, spürt der ganze Leib dies. Jedes Glied muss die Freiheit bekommen, für die Gemeinschaft so wirken und handeln zu können, wie es das in sich selbst spürt. Und natürlich braucht der Einzelne Wertschätzung, Ermutigung und Stärkung durch die anderen, um die eigene Fähigkeit gut einzusetzen.
Jede Art von Gemeinschaft braucht diese Orientierungen, um gut zu funktionieren. Was aber macht eine spezifisch christliche Gemeinschaft aus?
Was hält sie wesentlich zusammen?
Woraus zieht sie ihre Kraft?
Was hält sie lebendig?
Paulus sagt, dass Christen auf den Namen Jesu Christi getauft sind. Daraus entsteht ihre Einheit. Bei jeder Taufe bekommt ein Kind einen Vornamen, der ihm Individualität schenkt. Es hat einen Familiennamen und wird damit als Individuum in die Gemeinschaft der Familie hineingelegt, weil wir ohne den anderen nicht leben können. Zusätzlich wird das Kind auf Christus getauft. Das ist kein Name, sondern ein Programm und eine Verheißung. Jeder Täufling wird in die Liebe Jesu Christi eingetaucht und empfängt dadurch das Versprechen, dass diese Liebe ihn durch sein Leben tragen möchte. Die Lebendigkeit einer christlichen Gemeinde hängt davon ab, inwieweit die Einzelnen sich an diese Verheißung Jesu Christi binden.
Im heutigen Evangelium lesen wir, dass Gott seinen Sohn ‚hingegeben‘ hat. Er schenkt damit sein innerstes Wesen, seine Identität, die reine Liebe ist. Er schenkt den Menschen seinen Sohn, damit durch ihn Licht und Liebe diese Welt mehr und mehr durchdringen. Der Glaube ist somit eine Gabe. Gott wusste natürlich von Beginn an um das Risiko, das mit dieser Gabe verbunden sein würde. Im Evangelium heißt es: „Das Licht kam in die Welt, aber die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht“ (Joh 3,19). Der Vater wusste, was der Sohn würde aushalten müssen, weil er auch das Dunkel der Welt und des Menschen kennt. Jesus musste Hohn und Spott ertragen, weil Licht und Liebe in dieser Welt oft mit Füßen getreten, sogar ausgelöscht werden.
Wie konnte Jesus das aushalten? Es war eine große Mühsal für ihn, aber die Gewissheit, dass Gott die Welt mit Liebe erfüllen will, hat ihm Kraft gegeben. In dieser Liebe berühren sich Himmel und Erde. In ihr hat Jesus sich stets aufgehoben gefühlt. Außerdem hat er darauf vertraut, dass der Kern des Menschen Liebe ist. Der Mensch ist Abbild Gottes und damit ist er Gott ähnlich. In der Tiefe unseres Wesen muss es eine unverbrüchliche Liebe geben, selbst wenn sie manchmal nicht zum Vorschein kommt oder zurückgedrängt wird.
Gemeinde Jesu Christi zu sein, bedeutet, an sein Licht und an seine Liebe zu glauben, ihn immer wieder darum zu bitten, Licht und Liebe für uns zum Vorschein zu bringen, in die Tiefe unseres Wesens zu gehen und die verschüttete Liebe an die Oberfläche zu holen. Gemeinde Jesu Christi zu sein, bedeutet, aus diesem Licht und dieser Liebe zu leben und zu handeln und die Freude darüber in die Welt zu tragen. Dadurch machen wir uns an Jesus Christus, an seinem Wesen und an seinem Geist fest.
Ich habe vor Kurzem mit einem Menschen gesprochen, der während eines Spazierganges über den Heiligen Geist nachgedacht hat. Er hat sich an die Gaben des Heiligen Geistes erinnert und sich gefragt, ob es bei sieben Gaben bleiben muss. Dann hat er den Heiligen Geist um Wachsamkeit gebeten. Dieser Mensch möchte wachsam mit dem eigenen Leben umgehen und mit dieser Wachsamkeit auf das Leben schauen. Er möchte mit wachsamen Augen auf die Menschen schauen, die ihm anvertraut sind. Er hat den Heiligen Geist um Erkenntnis gebeten, weil er erkennen möchte, welcher Weg ins Licht, welcher Weg zur Liebe führt. Er möchte erkennen, welche Wege in den Abgrund führen, um sie zu meiden. Er hat den Heiligen Geist um Weite gebeten, weil er die Gedanken von anderen zulassen können möchte, auch wenn er selbst ganz anders empfindet. Er möchte ein weites Herz für seine Kinder und für die Vielfalt in der Welt, selbst wenn sie nicht mit seinem Weg übereinstimmt. Er hat den Heiligen Geist um Gelassenheit und Lebensfreude gebeten, um leichtfüßiger und auch mit Freude durch das Leben zu kommen.
Franz von Assisi wird ein Gebet zugeschrieben, in dem er Gott darum bittet, zum Werkzeug seines Friedens gemacht zu werden. Wir könnten den Heiligen Geist heute darum bitten, dass er uns die Kraft schenkt, für den Frieden aufzustehen und uns aktiv für ihn einzusetzen. Meine Schülerinnen und Schüler haben folgende Bitten zur Geistesgabe des Friedens formuliert:
Mach mich zum Werkzeug deines Friedens, dass ich aufstehe,
– wenn Menschen aufgrund von Leistungsdruck überfordert werden,
– wenn Streit und Konflikte unfair ausgetragen werden,
– wenn ich Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft wahrnehme,
– wenn ich Trauernde sehe und ihnen beistehen möchte,
– wenn ich Diskriminierung erlebe,
– wenn ein eindeutiges ‚Nein‘ nicht akzeptiert wird,
– wenn Grenzen überschritten werden,
– wenn Menschen benutzt werden,
– wenn Menschen Hilfe brauchen,
– wenn ich Mobbing miterlebe,
– wenn Menschen bedroht werden,
– wenn Politiker keine Rücksicht auf Bedürftige nehmen,
– wenn den Menschen ihre Würde genommen wird,
– wenn ich zu Vergebung und Versöhnung beitragen kann,
– wenn mein Nächster nicht mehr weiter weiß und kann,
– wenn Menschen aufgrund ihrer Sexualität, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft benachteiligt werden.
Gott hat gegeben
Pfingstmontag
1 Kor 12 und Joh 3,16f; 19-21