Das neue Kirchenjahr beginnt immer am ersten Advent. Das bedeutet, dass wir für ein Jahr ein bestimmtes Evangelium lesen. In diesem Jahr wird es das Markus-Evangelium sein. Damit gehen wir zum Ursprung zurück, denn Markus hat das älteste Evangelium geschrieben. Heute haben wir den Anfang dieses Evangeliums gehört. Anders als Matthäus und Lukas kennt Markus keine Weihnachtsbotschaft, sondern er fängt direkt mit dem erwachsenen Jesus an. Sein Wesen als Erwachsener trägt die Botschaft der Liebe in sich und wird durch seine Worte und seine Taten deutlich. Der Weg wird ihm bereitet durch Johannes den Täufer, dessen Verkündigung von Umkehr und den Ritus der Taufe. Er taufe mit Wasser, sagt Johannes, aber der, der nach ihm komme, taufe mit dem Heiligen Geist. Auf ihn gilt es zu achten.

 

Wenn ein Mensch ein Buch liest, so beginnt er normalerweise auf der ersten Seite und liest sich Seite für Seite bis zum Ende durch. Manchmal ist er aber versucht, nach den ersten Seiten schon einmal ans Ende zu springen, weil er es vor Spannung nicht aushalten kann. Aber nimmt er sich die Spannung dadurch nicht? Ist es nicht viel besser, offen zu bleiben für das, was die gesamte Geschichte ausmacht? Sollten wir nicht eher das Leben in einer natürlichen und guten Spannung halten, aufmerksam auf dem Weg bleiben, statt alles vorwegzunehmen? Ein Anfang ist ein Neubeginn. Jeder Mensch hat einen Anfang, von dem aus er Schritt für Schritt den Weg gehen sollte. Spannungsvoll und offen gilt es zu bleiben, so dass das immer wieder Neue auf dem Weg ins Auge fallen und eine Erwägung bekommen kann. In den Spuren Jesu gehen wir, wenn wir zusammen für ein Jahr ein Evangelium lesen. Wir hören dieses Evangelium in Abschnitten Sonntag für Sonntag und sind so mit ihm zusammen auf dem Weg.

 

Um unterwegs sein zu können, müssen wir losgehen. Manchmal verlieren wir dabei das Ziel aus den Augen. Unser großes Ziel ist unsere wahre Heimat bei Gott. Was sind die wichtigen Lebensziele auf dem Weg zu diesem großen Ziel? Wir müssen suchen und genau hinschauen. So viele Nebensächlichkeiten bestimmen unser Leben. Der Alltag erwartet viel von uns. Wichtiges entgleitet. Der Gottesdienst eignet sich dafür, zur Ruhe zu kommen und das eigene Leben zu bedenken. Lebe ich, was in mir ruft? Bin ich unterwegs zu meinen Zielen?

 

Johannes der Täufer trat in der Wüste auf. Sein Wirken dort wird mit einem Zitat aus dem Buch Jesaja eingeleitet: „Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!“ Die Hörer dieses Evangeliums verbanden diese Wüstenerfahrung sofort mit dem Auszug aus Ägypten in ihre Heimat, in das gelobte Land, um 1200 v. Chr. Jesaja ist 700 Jahre später entstanden, als die Israeliten in Babylonien wieder heimatlos waren und sich an ihren Exodus vor 700 Jahren erinnerten. Erst in Babylonien wurde der Auszug aus Ägypten durch die Wüste schriftlich festgehalten. Johannes Bours spricht von der Wüstenzeit des Volkes Israel als „Brautzeit mit Gott“. Die Menschen mussten sich an die einfachsten Lebensumstände gewöhnen, an die Verwirrungen des Lebens, an Hunger und Durst, an den Wechsel von Hitze und Kälte. Gerade in dieser Kargheit hat das Volk Israel das Entscheidende entdeckt. Was hält uns in der Not? Was trägt uns? In der Rückschau wollten sie festhalten, dass sie eben dort den Schutz und die Liebe Gottes besonders erfahren haben. Er ist ihren Weg mitgegangen.

 

Ist Heimat nicht auch solch ein Schutzraum? Schauen wir auf unsere Eisenbahn, so sehen wir, dass wir mit ihr losfahren und die Heimat zurücklassen. Wir lassen sie los, um Neues entdecken zu können. Wer freut sich nicht über einen Tapetenwechsel vom Alltag? Aber so ein Alltag ist auch Heimat und auf der Fahrt können wir erfahren, was Heimat bedeutet. Wir können eine neue Sicht auf die Heimat gewinnen und sie neu entdecken.

Manches muss aus der Ferne betrachtet werden, um geschätzt werden zu können. Denn wenn Dinge zu selbstverständlich geworden sind, verlieren sie ihre Tiefe. Die Rückkehr in die Heimat ermöglicht dann eine wirkliche Freude, statt ein wie nebenbei erlebtes Eintreffen.

 

Heimat ist, wo wir sein können, wie wir wirklich sind. Das ist nicht überall möglich. Unser Innerstes, unsere Gefühle können wir nicht überall zeigen. In der Heimat können wir uns hingegen öffnen. Wir gehen zusammen durch die Jahre, teilen das Leid miteinander, tragen und halten einander. Heimat ist Geborgenheit bei den Menschen, denen wir vertrauen können und bei denen wir uns wohlfühlen. Wir brauchen Heimat. Sie schenkt Leben und befähigt dazu.

 

In der Heimat sind die alltäglichen Menschen von entscheidender Bedeutung. Es sind die Menschen, die wir jeden Tag treffen, wenn wir mit dem Rad durch die Straßen fahren. Die eigene Familie, die meist die Kernheimat ist, ist oft nicht so leicht zu erreichen wie diese alltäglichen Menschen, die ganz selbstverständlich um einen herum sind.

 

Alle Menschen sehnen sich nach Heimat, aber viele Menschen sind heimatlos. Jesus hat versucht, den heimatlosen Menschen eine Heimat zu geben, indem er ganz bei ihnen war. Er hat die Menschen geliebt, sie zusammengeführt und Gemeinschaft gestiftet. Heimat kann nur geben, wer weiß, dass sie das Fundament des eigenen Lebens ist – selbst wenn es sich um die noch nicht erreichte Heimat handelt, die Glaube und Sehnsucht verheißen. Was ist Heimat für Sie und welchen Menschen haben Sie zuletzt Heimat gegeben?

Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

Heimat

Predigt zum 2. Advent
Mk 1,1-8
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