Begegnungen können das Leben bereichern und einem Menschen sehr gut tun. Manchmal sind sie schwer, aber sie sind trotzdem menschlich. Sie gehören zu dem, was das Leben eines Menschen ausmacht, was das Wesen des Menschen braucht. Von einer bereichernden Begegnung erzählt das heutige Evangelium. Maria hat gerade die Verheißung, dass sie den Sohn Gottes gebären wird, bekommen und ist voller Fragen und Sorgen. Ihr Herz ist schwer. Wie soll sie dieses Geheimnis begreifen? Es übersteigt ihr Denken und sie kommt allein nicht damit zurecht. In ihr wächst die Sehnsucht, mit einem liebevollen und vertrauten Menschen darüber zu sprechen. Sie will und sucht die Begegnung mit ihrer Tante Elisabeth und ergreift die Initiative. Maria macht sich auf und geht den Weg im tiefen Vertrauen zu Elisabeth. In ihr wohnt die Hoffnung, dass sie von ihrer Tante ernst genommen wird, dass diese versteht, was Marias Seele bewegt. Wenn man einem solchen Menschen begegnet und sich im Gespräch von ihm angenommen fühlt, wenn man spürt, dass dieser Mensch einem zuhört und einen trägt, dann läuft das Leben danach anders.
Liest man geographische Beschreibungen in der Bibel, so muss man sie immer auch geistlich interpretieren. Im heutigen Evangelium wird von der Hügellandschaft Judäas erzählt, durch die Maria gehen muss, um zu Elisabeth zu gelangen. Damit möchte Lukas ausdrücken, dass Maria nicht einfach zufällig bei ihrer Tante vorbeikommt. Sie muss einen wirklichen Weg bewältigen, der so beschwerlich ist wie die Fragen in ihrem Herzen. Überlegen Sie einmal, wo Sie mit den Fragen Ihres Lebens hingehen. Haben Sie einen solch liebevollen Menschen wie Elisabeth – einen Menschen, bei dem man lange Zeit verweilt, weil die Begegnung klärend und erleichternd ist? Welcher Mensch hat Ihnen in der letzten Woche zugehört? Wer hat sich empathisch in Sie hineingefühlt und Sie dadurch verstanden? An welchen Menschen denken Sie, der Ihnen geholfen hat? Mit einem solchen Menschen an der Seite schafft man die Herausforderungen des Lebens.
In der Heiligen Schrift spricht man davon, dass Begegnungen einem Menschen zum Fluch oder zum Segen werden können. Manchmal geht man ohne große Erwartungen in eine Begegnung hinein und wird schließlich positiv überrascht. Ein anderes Mal erhofft man sich viel davon und muss einsehen, dass die Begegnung nicht erfüllend war. Hier denke ich an mein eigenes Leben in den letzten Monaten. Meine Begegnungen mit der Bistumsleitung waren mühsam. Die Begegnungen waren anstrengend und enttäuschend. Sie fanden nicht auf Augenhöhe statt. Christlich gesehen, sollten Begegnungen und die damit verbundenen möglichen Gespräche sogar auf Herzenshöhe stattfinden. Wenn man in diesen „Gesprächen“ aber lediglich Ergebnisse mitgeteilt bekommt, wächst das Gefühl, dass man der Schwächere ist und nicht ernst genommen wird. Begegnungen dieser Art stecken einem lange in den Knochen. Diese Schwere trage ich in und mit mir. Wenn es im November heißt, es handele sich um eine normale Versetzung, und wenn ich fünf Monate später in einer öffentlichen Stellungnahme des Bistums lesen muss, ich hätte die Fusion blockiert, dann frage ich mich außerdem, was nun wahr ist. Warum wurde tatsächlich aufgekündigt, was ich 17 Jahre lang aufgebaut habe? Eine gute Begegnung muss wahrhaftig sein. Ohne Wahrheit fehlt das Entscheidende. Darum ist auch meine Auseinandersetzung mit den Geschehnissen noch nicht am Ende. Ich suche immer noch den Weg der Wahrheit. Dabei gehen mir die Worte Jesu nicht aus dem Kopf: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Die Wahrheit war entscheidend auf seinem Weg und ist es auch auf meinem.
Auf der anderen Seite stärken mich die Begegnungen mit den Menschen aus meiner ehemaligen Gemeinde. So viele von ihnen sind für mich aufgestanden und haben sich für mich eingesetzt. In all den Monaten haben sie besorgt gefragt, wie ich es aushalte, so behandelt zu werden, wie ich damit zurechtkomme, so schnell umziehen zu müssen, wie ich die Herausforderungen der Zukunft bewältigen werde. Dabei haben diese Menschen selbst tiefe Verletzungen erfahren.
Die Menschen in der Gemeinde haben ehrliche Gespräche mit der Bistumsleitung gesucht und sie nicht gefunden. Sie haben recherchiert und gute Argumente zusammengetragen, eine Internet-Seite aufgebaut, um sich äußern zu können. Dass sie keine Begegnung auf Augenhöhe mit hilfreichen und klärenden Gesprächen, die von Wahrhaftigkeit und Verständnis geprägt waren, erleben durften, hinterlässt eine bleibende Spannung und tiefe Enttäuschung. Ich denke hier angeschlossen besonders auch an meine Eltern, deren Kirchenbild in ihrem hohen Alter zutiefst erschüttert wurde.
Ich bin nun nicht mehr Pastor in St. Stephanus, aber immer noch Lehrer und Schulseelsorger in der Friedensschule, die etwa 400m vom Kirchgebäude entfernt liegt. Für mich ist es fast das Traurigste, dass diese Verbindung zwischen Kirche und Schule aufgekündigt wurde. Das war eine erfolgreiche pastorale Fusion. Wie wird der neue pastorale Weg nun aussehen? Ich wohne inzwischen in Gremmendorf und wenn ich mit dem Fahrrad von dort zur Friedensschule fahre, fahre ich unwillkürlich durch die Aaseestadt. Natürlich begegne ich auf diese Weise jeden Tag den Menschen, die ich in meinem Herzen trage. „Mit Euch bin ich Christ, für Euch bin ich Pastor“ – an diese Worte des hl. Augustinus denke ich dabei. Ich bleibe weiterhin mit diesen Menschen Christ, auch wenn ich nicht mehr ausdrücklich ihr Pastor bin. Außerdem wohnt mein „geteilter“ Hund in der Aaseestadt. Auch darum bleibe ich weiter in den mir so wichtigen Beziehungen. Diese Menschen tragen mich und das ist für mich, der ich nicht in einer eigenen Familie lebe, unverzichtbar. Ich bin in einer Zeit groß geworden, als es noch ein anderes Priesterbild gab. Ein Pastor blieb bis zum Ende, also bis zur Rente und meist darüber hinaus, in seiner Gemeinde. Das hat mich geprägt. Natürlich darf ein Pastor auch nach einigen Jahren die Gemeinde wechseln, wenn er das möchte. Wenn ein anderer Pastor aber, da er ohne eigene Familie leben muss, Zuhause bleiben möchte, weil er seine Menschen braucht, weil er sich von ihnen getragen fühlt, weil ihm Heimat wichtig ist, dann sollte das respektiert werden. Die Vielfalt unter den Bedürfnissen der Menschen darf nicht aus dem Blick geraten.
Seit vielen Jahren halte ich jedes Jahr ein Trauerseminar. Immer wieder höre ich von den Teilnehmern, wie gut es tut, mit anderen Trauernden in unserer Begegnung zusammenzukommen. Denn Zuhause will keiner mehr von der Trauer hören. Die Teilnehmer werden von der Familie aufgefordert, mit der Trauer abzuschließen und nach vorn zu schauen. Das gelingt ihnen aber nicht so einfach. Ich kann es auch nicht. Das Alte ist nicht abgeschlossen wegen des neuen Datums. Ein Mensch muss heilen und das bedeutet, das Schwere mitzunehmen, statt es zuzudecken. Hat man dabei liebe Menschen um sich, die einen tragen und das Schwere mittragen, dann vollzieht sich der Heilungsprozess etwas leichter. Ich bin dankbar für diese Menschen, die den Weg mit mir zusammen gehen.
So komme ich zurück zum Evangelium. Warum ist aus der Begegnung zwischen Maria und Elisabeth eine Heilsbegegnung geworden? Was hat die Begegnung so reichhaltig gemacht, dass Maria drei Monate lang bleibt und gesegnet aus dieser Begegnung herausgeht? Maria wird liebevoll und herzlich begrüßt. Elisabeth empfängt sie mit den Worten: „Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ Dadurch drückt sie aus, dass sie erfüllt von Marias Gegenwart und voller Dank ist. Ich muss an ein Wort von Mutter Teresa denken, das sie einmal während eines Fernsehinterviews sagte. Der Moderator fragte sie nach dem Wesentlichen im Umgang mit den Menschen. Es entstand eine Pause, in der Mutter Teresa nachdachte.
Der Moderator wurde schon nervös, weil im Fernsehen immer alles schnell gehen muss. Schließlich sagte sie mit tiefer und weiser Stimme: „Ich möchte jedem Menschen das Gefühl geben, unbedingt erwünscht zu sein“. Erwünscht zu sein, öffnet die Türen für das Leben und den Glauben. Maria ist erwünscht und wird durch diese Gewissheit des Angenommenseins auch Elisabeth innerlichen Halt geben.
Interessant ist nun die Reaktion von Maria auf diese herzliche Begrüßung. „Meine Seele preist die Größe des Herrn“, erwidert sie und beschreibt sich selbst als Magd des Herrn. Sie macht sich also kleiner, als es die Begrüßung durch Elisabeth vorausahnen lässt. Das ist prophetisches Denken. Nicht sie, sondern der Herr ist wichtig. Sie selbst möchte als eine Magd für Gott leben. Sie will für seine Liebe Zeugnis geben. Das wird direkt zu Beginn der Magnificat deutlich, die auf Elisabeths Begrüßung folgt. Es gibt kaum ein Lied, das so viel Mut, Lebensfreude und Wahrhaftigkeit ausstrahlt. Marias Geist jubelt über Gott, lesen wir dort. Man muss sich das deutlich vor Augen führen: Sie ist etwa 14 bis 16 Jahre alt, also eine sehr junge Frau, die vollkommen überraschend von einem Engel erfährt, dass sie den Sohn Gottes gebären soll. Sie nimmt die Herausforderung an, obwohl die Nachricht ihr Herz beschwert. Sie sucht darum die Begegnung mit einem liebevollen und vertrauten Menschen, der ihr zeigt, dass sie geliebt und erwünscht ist. Da bricht dieses Lied überschwänglich und mutig aus ihr heraus, in dem sie Gott, den Herrn, lobt. „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“, singt sie. Bereits hier erfahren wir durch sie den Kern der christlichen Botschaft. Diese junge Frau stellt sich in einer Gesellschaft, die von Männern geprägt ist, hin und gibt dieses mutige Zeugnis ab. Wie viele Frauen hat man damals gesteinigt oder einfach weggedrängt! Und die Frage nach der Rolle der Frau zieht sich als eine der entscheidenden Fragen der Kirche bis in die Gegenwart. Maria ist ein Beispiel, das man in der Kirche groß machen sollte. Sie zeigt, dass ein Mensch alles singen und leben kann, wenn er innerlich frei ist. Den eigenen Glauben zu leben, bedeutet, angstfrei und mutig, ehrlich und wahrhaftig seinen Weg zu gehen und für das einzustehen, das einem dieser Glaube im Herzen mitteilt. Maria gelingt dies und darum wird ihr die Begegnung mit Elisabeth zum Segen.
Ich möchte Ihnen zum Schluss noch ein Bild aus der Friedensschule ans Herz legen. Normalerweise sehen wir Maria in dem Moment dargestellt, in dem ihr der tote Jesus in die Hände gelegt wird. Oder wir haben Darstellungen von Maria mit einer Königskrone auf dem Kopf wie in St. Stephanus. Auf diesem Bild wird uns hingegen eine andere Maria gezeigt. Sie repräsentiert eine moderne Pädagogik.
Das Kind sitzt auf ihrem Schoß. Es wird gehalten, aber nicht festgehalten. Es kann sich entweder nach hinten fallen lassen und sich anlehnen oder aber jederzeit vom Schoß springen. Das möchte ich bei meinen Schülern umsetzen. Ich versuche, ihnen Halt und Schutz zu geben und sie gleichzeitig in die Selbständigkeit zu entlassen. Kinder müssen gehalten werden, brauchen aber Freiheiten, um sich entfalten zu können. Ich helfe ihnen bei dieser Entfaltung, indem ich für sie da bin und sie dabei unterstütze, das zu finden und zu entwickeln, was in ihnen ist. Sie sollen werden und sein können, wie Gott sie gewollt hat. Maria ist hier ein gutes Vorbild. Mit solch einer Mutter, die mutig und ehrlich ist, die einen trägt und frei gibt, möchte man durch das Leben gehen. Begegnungen mit Menschen, wie sie einer ist, sind heilsam für jeden.
„Mutter Maria, mit dir will ich gehen.“
Segensreiche Begegnungen
Euer / Ihr Pastor