Am 1. Advent haben die Schülerinnen und Schüler der Friedensschule die Gelegenheit, in die offene Krippe zu schauen. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich dort noch keine Figuren. Aber ich lege in jedem Jahr etwas hinein, was unseren Weg zum Weihnachtsfest thematisch begleiten soll. Dieses Mal sind es Fußspuren aus Pappe in verschiedenen Farben, die die jeweils eigenen Wege hin zur Krippe darstellen sollen. Denn jeder Mensch geht seinen eigenen, ganz persönlichen Weg.

Weihnachten lädt uns ein, unser Menschsein zu bedenken – unsere Art und Weise zu leben, unser Innerstes, das Maß unserer Liebe. Weihnachten lädt uns aber auch dazu ein, unser Herz von Gott formen zu lassen. Ich bin der Ansicht, dass wir unser Menschsein tiefer begreifen können, wenn wir uns an unsere Kindheit erinnern. Die Wurzeln, die dort in uns hineingelegt werden, bestimmen unser Leben. Schon im Mutterleib bauen Mutter und Kind eine Beziehung auf, die sehr innig ist und nur schwer – vielleicht nie – aufgelöst werden kann. Der heranwachsende Fötus hört die Stimmen seiner Nächsten und prägt sie sich ein. Er nimmt Stimmungen wahr. Wenn ein Kind auf der Welt ist, spürt es, ob es erwünscht ist oder nicht. „Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur“, heißt es in einem Lied. Bei jeder Taufe sage ich den Eltern daher, dass sie ihr Kind gar nicht genug lieben können. Denn auf diesem Weg wird das Herz des Kindes durch Liebe geformt. Ein Kind, das behütet aufwächst, wird mit einem Urvertrauen ausgestattet, mit dem es durch sein Leben getragen wird. Diese Spuren der Kindheit prägen die ganze weitere Zukunft. Darum möchte ich in diesem Advent den Spuren unserer Kindheit nachgehen.

Ich habe die Jugendlichen meines Oberstufenkurses gefragt, wie sie ihre Kindheit erlebt haben. Aus den vielen Antworten möchte ich Ihnen drei vorstellen. Ein Schüler sagte, er sei froh, angstfrei aufgewachsen zu sein. Seine Eltern haben ihm niemals gedroht, wenn er etwas nicht tun wollte. Angst macht einen Menschen klein. Ein anderer Schüler sagte, er habe von seinen Eltern die Kraft erhalten, seinen Weg ehrlich und glaubwürdig zu gehen. Dieses Fundament muss sich im späteren Leben immer wieder bewähren.

Das hat sich in diesen Tagen erst bei der Fußballweltmeisterschaft gezeigt. Wie auch andere Mannschaften wollte sich die deutsche Nationalmannschaft zu den Menschenrechten bekennen und damit ein Zeichen setzen gegen die katastrophalen Bedingungen beim Bau der Stadien in Katar und gegen den Umgang mit homosexuellen Menschen in diesem Land. Sie wurde von der FIFA mundtot gemacht. Die FIFA übte Druck auf die Mannschaften aus, drohte mit Konsequenzen und hatte mit dieser Machtdemonstration Erfolg. An Ansehen hat sie zwar dadurch in der Welt nicht gewonnen, aber es ist ihr gelungen, diejenigen Spieler, die mutig aufstehen wollten, kleinzumachen. Das Fundament, das in der Kindheit gelegt wurde, konnte sich nicht bewähren, weil der Druck zu groß war. Anders die iranische Nationalmannschaft, die bei ihrem ersten Spiel die Nationalhymne aus Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land nicht mitgesungen hat und nun nicht weiß, welche Strafe sie Zuhause dafür erwarten wird. Die Spieler sind trotzdem aufgestanden und haben ein Zeichen gegen die Verletzung der Menschenrechte im eigenen Land gesetzt. Sie sind in den Spuren ihrer Kindheit gegangen und haben sich von den Mächtigen nicht davon abbringen lassen.

Das bringt mich zu den heutigen Schriftlesungen. Der Prophet Jesaja berichtet von einer Vision, in der eine Veränderung der kriegerischen Situation in Judäa und Jerusalem hin zu Friede und Liebe beschrieben wird. Der Herr wird seine Wege aufzeigen, seine Weisung geben und Recht im Streit der Völker sprechen. „Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen“, heißt es. Jesaja drückt damit seine Hoffnung aus, dass der Angriff der Assyrer auf den Norden Israels eingedämmt wird, indem die Menschen ihre Herzen von Gott durch dessen Liebe formen lassen. Das würde dem Druck der Mächtigen den Wind aus den Segeln nehmen.

Ähnliches lesen wir im heutigen Evangelium. Durch den Krieg der Römer gegen das Volk Israel in den Jahren 66-70 n. Chr. bricht das Leben zusammen. Matthäus gibt dies bildlich wieder, indem er schreibt, dass die Sterne vom Himmel fallen. Sonne und Mond scheinen nicht mehr. Als so einschneidend wird dieser Krieg erlebt. Die Menschen haben den Eindruck, dass sie von völliger Dunkelheit umgeben sind. Diese historische Situation steckt hinter den apokalyptischen Worten des Matthäus. In diese hinein lässt er Jesus von Nazareth seine Abneigung gegen die Dunkelheit bekennen. Jesus kann es nicht ertragen, wie die Menschen ihr Menschsein verraten, wie sie die Liebe, die Gott in ihr Herz gelegt hat, verloren haben. Jesus will nicht wie ein Zauberer Frieden stiften, sondern den Menschen ihre Freiheit lassen und sie mit in die Verantwortung nehmen. Sie sollen ihr Möglichstes tun, um selbst Frieden zu schaffen.

Auch wir leben in Zeiten, die von schweren Krisen geprägt sind. Erst heute Morgen habe ich gehört, dass Nordkorea die führende Atommacht werden möchte. Das Land demonstriert damit seine Macht, Menschen Leid zufügen zu können, wann immer es will. Wir spüren gerade, dass das Kriegerische zunimmt, dass die Gewaltbereitschaft auf der Welt wächst, dass Konflikte nicht mit Argumenten, Liebe und Diplomatie gelöst werden, sondern dass die Mächtigen einfach brutal zuschlagen. „Sei wachsam!“, erinnert Jesus daher den Einzelnen. Jeder Mensch soll zuerst auf das eigene Wesen schauen und dann das tun, was er zur Liebe beitragen kann.

Schauen wir also noch einmal zurück in unsere Kindheit und überlegen wir, wie wir groß geworden sind. Wurden wir geliebt und behütet? Wie können wir die Spuren der Liebe, die in uns hineingelegt wurden, ausweiten? Wie können wir uns verändern, wenn wir nur wenige Spuren der Liebe in uns spüren? Denn eines steht fest: Je tiefer die Spuren der Liebe in uns, desto besser können wir Spuren der Liebe in anderen hinterlassen.

Außerdem sollten wir unser gegenwärtiges Ich betrachten. Wer bin ich heute? Bin ich ich selbst oder bin ich fremdbestimmt? Hannah Arendt berichtet, dass ihre Mutter ihr geraten habe, sich alles anzuhören, am Ende aber selbst zu entscheiden. Jeder Mensch braucht Kritik und Auseinandersetzungen, aber keiner darf und muss sich dem unterwerfen. Sind wir mutig und angstfrei? Stehen wir für das Leben auf, auch wenn die Mächtigen Druck auf uns ausüben? Nehmen wir unseren Weg wachsam wahr und gehen wir ihn in Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit? Jesus hat Liebe und Verantwortung in unsere Herzen gelegt. Die Welt wird grundsätzlich diese Welt bleiben. Aber es ist an uns, jeden kleinen Beginn des Reiches Gottes aufzunehmen und mit unseren Möglichkeiten auszuweiten. Mögen wir mutig den Weg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe gehen!

Spuren meiner Kindheit – Wurzeln meines Lebens

1. Advent 2022

Jes 2,1-5 und Mt 24,29-44

Euer / Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

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