Wie oft haben Sie sich in den letzten Tagen mit den Worten „Frohe Weihnachten“ begrüßt oder verabschiedet? Wie oft haben Sie einander diese Worte geschenkt? Wo haben Sie diese Worte gehört? Im Radio? Auf der Straße? Was verbinden Menschen mit Weihnachten? Was bedeutet Ihnen dieses Fest?
Weihnachten ist die Zeit, in der die Familie aus aller Herren Länder zusammenkommt, in der Familien bemüht sind, wieder vereint zu sein. Wenn diese Familien gemeinsam an einem Tisch essen, bemerken sie, wie gut es ihnen tut, Zeit zu haben, um miteinander zu reden. Weihnachten bietet die Möglichkeit für herzliche Begegnungen, durch die ein tieferer Zusammenhalt in der Familie entstehen kann. Wir erkennen, wie sehr wir unsere Familie oder liebende Menschen im Allgemeinen an unserer Seite brauchen. Andere Menschen sind wiederum froh, einige Tage zu haben, in denen sie zur Ruhe kommen und durchatmen können. Ich erlebe, wie wichtig es ist, dass man zu Weihnachten beschenkt wird. Wenn ich spüre, dass der andere sich Gedanken gemacht oder hingehört hat und sich einen meiner Herzenswünsche über einen längeren Zeitraum gemerkt hat, bereitet nicht nur mir die Erfüllung des Wunsches eine große Freude. Wenn wir erfahren, dass Menschen uns mit ihren Geschenken glücklich machen möchten, ist das eine tragende Zuwendung.
In diesem Umfeld ist selten die Rede von Jesus Christus. Lassen Sie uns darum hier in der Kirche über seine Bedeutung nachdenken. Mit Weihnachten kommt eine neue Dimension zur Welt hinzu, die für Christen entscheidend ist. Wir feiern Weihnachten, weil Jesus von Nazareth geboren wurde. Gott will den Menschen nahe sein und sie mit seiner Liebe erfüllen. Er wünscht sich, dass seine Liebe bis ins Herz der Menschen vordringt. Dafür geht er einen wunderbaren Weg. Denn wie könnte man näher an den Menschen sein, als wenn man als Mensch zusammen mit den Menschen lebt? Wir spüren doch immer wieder, was liebende Nähe von Menschen ausmacht, wie wohltuend und stärkend ihre Nähe ist. Liebe ist ein wichtiges Fundament für die Gesundheit jedes Menschen. Erfahren wir die Liebe der Eltern in unserer Kindheit, so fällt es uns im Leben leichter, die Liebe anderer und die Liebe Gottes zu erkennen, ihr zu vertrauen und sie anzunehmen. Gott spricht durch die Liebe aller Menschen, vor allem aber durch Jesus Christus. Wenn wir diese Liebe spüren, so geschieht genau das, wonach wir uns zutiefst sehnen.
Ich möchte nun einen näheren Blick auf die Weihnachtsbotschaft lenken. Der Evangelist Lukas stellt die Hirten in den Mittelpunkt. Hirten waren damals arme, einfache Leute, die nach ihren Schafen stanken. Das erinnert mich an eine Aussage von Franz Kamphaus, der von Priestern erwartet, dass sie „wie die Schafe stinken“, da sie sonst ihre Berufung verfehlt haben. Er fragt damit, wie sehr Priester ihre Aufgabe wahrnehmen, wie nah diese priesterlichen Hirten also bei den Menschen sind.
Weil die Hirten zur Zeit der Geburt Jesu nah bei ihren Schafen waren, wurden sie von der Gesellschaft nicht ernst genommen. Ihnen wurde Lebenserfahrung abgesprochen, weil sie nicht mit anderen Bereichen des Lebens vertraut waren. Sie waren in den Augen der Menschen einfache und ungebildete Leute.
Diesen Hirten wird eine Erfahrung geschenkt, die sie tief prägt.
Menschen kennen solch eine Prägung vor allem in Liebesbeziehungen. Aber diese Erfahrung gibt es auch im Glauben, weil der der christliche Glaube eine Liebesgeschichte ist. Und so spüren die Hirten, dass der Engel Gottes zu ihnen kommt und ihnen die Geburt des Retters verkündet. Ein Himmelsbote offenbart ihnen also, dass dieser Welt das Heil aus der Herrlichkeit Gottes, von jenseits dieser Welt, geschenkt wird. Das schreckt sie zuerst auf. „Sie fürchteten sich sehr“, heißt es bei Lukas. Wenn Gott in das Herz eines Menschen eintritt, so hat das Konsequenzen. Vor dieser Liebe kann keiner fliehen, sondern jeder muss sich den Fragen dieser Liebe stellen – ihrer Zusage und ihrem Anspruch.
Es zeichnet die Hirten aus, dass sie eine Vision dieser Liebe in ihren Herzen tragen. Es berührt sie, dass es etwas zu geben scheint, was größer ist als alles, was sie sich vorstellen können. Dem schenken sie ihr Vertrauen und ihre Angst schwindet. Deutlich wird das daran, dass sie ihrer inneren Vision nachgehen. Wohl denen, die eine Sehnsucht nach Leben und Liebe in sich tragen und dieser Sehnsucht folgen. Weil die Hirten von Furcht und offenen Fragen erfüllt sind, bleiben sie nicht bei der Herde, sondern spüren dieser Vision nach. – Wie traurig ist das Leben ohne Visionen. Wie traurig ist es, wenn wir neben der Dunkelheit nicht auch die hoffnungsvolle Botschaft und das Licht zulassen. Momente, wie diese Sonnenstrahlen, die durch die Kirchenfenster hineinstrahlen, wahrzunehmen und die damit verknüpften Visionen groß zu machen, ist wichtig. Natürlich ist das in Zeiten der Trübnis eine Herausforderung. Zeichenhaft sehen wir es in der heiligen Nacht, wenn die Lichter in der dunklen Kirche angezündet werden. Dann schauen wir sofort zum Licht, das die Dunkelheit durchbricht. Selbst wenn nur eine einzige Kerze im Dunkeln flackert, fällt unser Blick nicht auf dieses Dunkel, sondern auf das wärmende Licht der Kerze.
Die Hirten geben ihrer Sehnsucht nach Licht und Liebe Raum und ziehen nach Bethlehem. Dort finden sie die Krippe – eine Herberge der Humanität. Christlich ausgedrückt handelt es sich um eine Herberge ausstrahlender Liebe. Die Kraft, die mit dieser Liebe aus der Krippe herausstrahlt, berührt die Hirten in ihren Herzen. Die alten Meister haben diesen Vorgang gemalt, indem sie ein Licht aus der Krippe herausstrahlen ließen, statt die Krippe von außen anzustrahlen. Solche Bilder laden dazu ein, sich vor die Krippe zu stellen und die Liebe, die vom Kind ausstrahlt, ins eigene Herz zu lassen. Eine Krippe, die von innen strahlt, verkündet noch deutlicher die Liebe Gottes, die vom Kind ausgeht. Und wie die Hirten sich von dieser Liebe im Herzen haben berühren lassen, so vermag sie vielleicht auch heute, andere Betrachter anzurühren. Wer sich berühren lässt, der spürt, dass aus dem eigenen Traum nach Heil Wirklichkeit geworden ist – so wie aus dem Suchen der Hirten ein Sein wird.
Es ist ein unendliches Geschenk, dass Gott uns nah sein möchte und uns darum dieses Kind in der Krippe geschenkt hat. Wir erzählen bis heute davon, weil es genau unsere Sehnsucht berührt. Gott kommt in Liebe zu uns. Er macht sich ohnmächtig in diesem Kommen. Der Evangelist Lukas greift absichtlich die römische Geschichte auf, um der Härte und der Liebe zur Macht, die für diese Geschichte zentral sind, die Ohnmacht des Kindes und die Macht der Liebe entgegenzusetzen. Die Volkszählung gab es nämlich ausschließlich, um Steuern für die Kriegsmaschinerie einzutreiben und dadurch das römische Reich zu vergrößern. Das Kind Jesus Christus offenbart den Menschen, dass das Geheimnis Gottes Liebe ist und dass Gott den Menschen mit Jesus eine Brücke gebaut hat, diese Liebe an dessen Leben zu erkennen.
Gott wagt sich hinaus in unsere Welt. In einem Lied heißt es: „Du, Gott, geh uns unter die Haut“. Im Lied „Zu Bethlehem geboren“ singen wir: „Dich wahren Gott ich finde in meinem Fleisch und Blut“. So nahe möchte Gott uns sein und er war bereit, alle Konsequenzen des menschlichen Lebens mitzutragen. Jesus Christus musste aus Liebe Unfassbares aushalten. Auch in unserem eigenen Leben erfahren wir, wie die Liebe immer wieder zurückgedrängt wird. Aber Gott hört niemals auf zu lieben und Jesus Christus hat nie aufgehört, für diese Liebe zu leben und für sie gerade zu stehen. „Du, Gott, geh uns unter die Haut“ – Gott ist in unsere Haut hineingegangen. Deshalb können Christen so menschlich und tief glauben. Wir können Gott in uns, in unserem Herzen finden.
Gott kommt als Kind und spricht auf diese Weise von der Kindschaft Gottes. Jesus Christus hat den Menschen niemals etwas anderes zugesichert, als dass sie Gottes geliebte Kinder sind und bleiben. Für diese Liebe dürfen wir uns immer wieder öffnen und müssen für sie Verantwortung tragen.
Ich wünsche mir sehr, dass wir unseren Kindern diese Botschaft niemals vorenthalten, denn sie trifft die Sehnsucht eines jeden Menschen und erfüllt sie.
Ich möchte Sie einladen, einige Zeit an einer Krippe zu verweilen und das, was Sie an diesem Weihnachten in Ihrem Herzen spüren, in die Krippe hineinzulegen, es dem Kind anzuvertrauen und ihm in die Hände zu legen. Weil Gott uns unter die Haut gegangen ist, weiß er zwar schon, was in unserem Herzen ist, aber wir selbst müssen uns über unsere Sehnsucht bewusst werden. Kommen Sie mit der Wahrheit Ihres Lebens, stellen Sie sich den „Nächten Ihres Lebens“ und vertrauen Sie sich Gott an. Wenn der Glaube leuchtet und hell wird, verschwindet das Dunkel nicht einfach. Aber indem das Licht aus der Krippe in die Dunkelheiten Ihres Lebens strahlt, wird aus der Nacht eine heilige Nacht, wird Segen und Heil. Ich möchte Sie noch einmal an das Bild von Rabindranath Tagore vom 4. Advent erinnern: „Glaube ist wie der Vogel, der singt, wenn die Nacht noch dunkel ist“. Und so kann man auch sagen: Weih-Nacht ist wie der Vogel, der singt, wenn die Nacht noch dunkel ist. Er singt im Dunkel der Nacht ein Hoffnungslied:
Es werde hell!
Es werde hell!
Es kann eine Aufforderung an Gott sein:
Gott, lass es hell werden in unserer Welt!
Du kannst es doch.
Du bist dazu in der Lage,
weil du Gott bist.
Hell Werden heißt:
Deine Liebe breitet sich aus
wie das Licht.
Und du willst Liebe und Licht
in diese Welt und zu uns Menschen tragen.
Du willst vor aller Dunkelheit deine ganze Schöpfung mit Licht erfüllen.
Du nimmst uns mit in die Verantwortung,
dass wir mitwirken am Heil der Schöpfung.
Gott hat seinen Sohn gesandt.
Er will uns ganz nah sein.
Und er will mit und durch uns Menschen
diese seine Welt mit Licht und Liebe segnen.
Und so kann aus der Erde ein Stück Himmel werden,
selbst wenn immer auch Dunkelheiten unsere Welt durchziehen.
In einem Lied heißt es dann:
„aus Trauer werde Freude“,
„aus Hass werde Liebe“,
„aus Worten werden Taten“,
„aus Erde werde Himmel“.
Wer meine Worte hört und dem glaubt, der mich gesandt hat,
hat das Licht der Welt und das ewige Leben. (nach Joh 5,24)
Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht
und es durchdringt alle Dunkelheiten unseres Lebens
und erhellt sie durch seine Liebe.
In dem Maß, in dem Jesu Wort unsere Seele ergreift,
geschieht Verwandlung,
werden wir frei und gehen dem Licht entgegen.
Es werde!
Es werde hell!
Es werde hell auf der Erde!
Gott, mache uns zu Boten des Lichts!
Ich habe das Lied „Es werde“ für Sie eingesungen:
„Hab Geduld
flüstert das Land
ich schlafe
finde Frieden
flüstert der Himmel
ich bin da
liebe mich
flüstert die Hoffnung
ich lebe
ich werde wiederkommen
flüstert das Licht.“
(© Cornelia Elke Schray)
In dieser Freude, unter dem Licht Jesu Christi, unter seinem Segen wollen wir unseren Weg gehen.